Michaela Samietz ist Erfahrungsexpertin und schreibt im Rahmen des #krisenkraft-Aktionsmonats in ihrem Gastbeitrag über ihren Weg und über die Krise als Entwicklungschance.
Jede Krise ist auch eine Chance…auf Entwicklung
…hätte mir das jemand an meinem persönlichen Nullpunkt gesagt, hätte ich vielleicht nicht unbedingt gejubelt und mich selbst beglückwünscht zu dieser wunderbaren Chance, die sich mir da auftut. Und doch, Jahre später und am heutigen Punkt meiner persönlichen Entwicklungsreise kann ich meine persönliche Krise ganz klar als Chance sehen. Als Chance auf Entwicklung.
Entwicklung ist ein Prozess, kein Stabhochsprung
Technisch gesehen lässt sich meine „Krankheitsgeschichte“ knapp zusammenfassen: Zusammenbruch in einem Job, den ich mit viel Herz und Begeisterung aber leider auch ohne Rücksicht auf mich selbst ausgeübt hatte. Danach einige Jahre mit wiederkehrenden Depressionen. Inzwischen seit mehreren Jahren stabil, d.h. ohne Krankheitsepisode.
Aus der Innensicht ist dies eine recht dürre Beschreibung für das, was ich auf dieser Reise erlebt habe. Zum Einen ist Krankheit und Genesung oft kein digitales Geschehen, sondern ein Entwicklungsprozess.
So wenig, wie die Erkrankung bei mir von einem Tag auf den anderen kam (auch wenn sich die Wucht, mit der es mir den Boden unter den Füßen weggezogen hatte so anfühlte), so wenig war sie einfach „wegzumachen“. So sehr ich mir das auch gewünscht habe!
Genesung ist mehr als nur „Wegmachen von Symptomen“
Sehr reduziert ist obige Zusammenfassung auch, weil Genesung viel mehr ist, als Symptome wegmachen und „wieder funktionieren können“. Das war es auch und ich bin unendlich froh darum!
Und doch ist ein „Heilungsprozess“ auch ein Wachstumsprozess, der nicht nur Negatives gehen und Wunden heilen lässt, sondern zugleich Räume eröffnet für Positives, Schönes, Stärkendes, was nun neu wachsen kann. Zumindest ist das mein Erleben.
Bei einem Impuls-Abend, bei dem ich zum ersten Mal öffentlich über meine Erkrankung sprach, endete ich darum auch mit einer Zusammenfassung dazu, was mein Leben heute reicher macht.
#Krisenkraft Nr. 1: Seelische Sonnenstrahlen einfangen
Und da gibt es Vieles. Neben den „großen Themen“ gibt es da auch das vermeintlich Kleine, das Leise, das nach außen nicht gleich Sichtbare; das aber durchaus wirkmächtig ist für die gefühlte Qualität des eigenen Lebens:
So bin ich z.B. nach wie vor unendlich dankbar für so Vieles, was leicht für selbstverständlich genommen werden oder zumindest im Rauschen des Alltags verschüttet werden kann. Wo Selbstverständlichkeit (zeitweise) verloren war bzw. gewichen ist, kann Dankbarkeit ganz üppig wachsen. Damit eng verbunden ist die kindliche Freude an Kleinigkeiten und an Schönem; vor allem an der überwältigenden Schönheit der Natur. Auch hier erlebe ich es so:
Wenn Licht und Farben einmal „verschwunden“ waren, sind Blumen, Hummeln, die Farben des Waldes, Wolkenbilder am Himmel u.a. zeitweise wie ein kleines Freudenfeuerwerk für die Seele….
…oder zumindest wie ein wärmender Sonnenstrahl. Selbstverständlich ist mein Leben kein ununterbrochener Tanz über die Blumenwiese. Umso wichtiger ist die erlernte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf das Positive, das Schöne, das Stärkende zu lenken; nicht obwohl nicht immer alles rosa und happy ist, sondern gerade weil. Und sei es nur für ein kurzes Aufatmen der Seele.
„Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln.“
~ Dalai Lama
Auch dies ist ein Zitat, das in den schwierigsten Zeiten wahrscheinlich keine Begeisterungsstürme in mir hervorgerufen hätte. Rückblickend weiß ich: Das ist mehr als ein schlauer Satz.
Dabei steht innere Stärke für mich keinesfalls für abgehärtet und unverletzbar. Auch unangenehme Gefühle sind keineswegs für immer aus meinem Innenleben verbannt. Doch da ist auch ein zartes und zugleich widerstandsfähiges Pflänzchen in mir gewachsen. Eine Art leise Zuversicht die mir wortlos zuflüstert: „Du hast d.a.s. bewältigt. Du wirst auch Anderes bewältigen“.
Kein rosaroter Optimismus also, aber ein neu gewonnenes Vertrauen in die eigenen, teilweise neu hinzugewonnenen Selbsthilfe-Kompetenzen.
#Krisenkraft Nr. 2: Achtsamkeit und Mitgefühl – nicht nur für Andere sondern auch für mich selbst
Von diesen Selbstfürsorge-Tools habe ich im Laufe der Zeit einen bunten Strauß gesammelt: Entspannung, Imagination, Meditation, Schreiben, Bewegung in der Natur etc. Die vielleicht Entscheidensten: Achtsamkeit und Selbstmitgefühl.Gerade Letzteres habe ich vergleichsweise spät auf meiner Reise entdeckt; ein gefühlter Wendepunkt. Eine neue Milde mir selbst gegenüber, die mich erkennen ließ, wie brutal ich jahrelang innerlich mit mir selbst umgegangen war.
Und die Fähigkeit, in schwierigen emotionalen Zuständen für mich selbst zu sorgen und mich aufzufangen.
Selbstmitgefühl ist eine Stärke, die nicht kraftstrotzend daherkommt. Die aber innerlich den Rücken stärkt, gerade dann, wenn man es am nötigsten braucht.
#Krisenkraft Nr. 3: Das Geschenk der Selbstannahme
Und Schritt für Schrittchen konnte in diesem neuen inneren Klima etwas wachsen, was so unendlich wertvoll ist: Selbstannahme.
Es wird so viel über Selbstliebe, Selbstbewusstsein, Selbstwert geschrieben und gesprochen; oft mit ganz unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen. Mal mit viel „Du kannst alles, wenn Du nur willst“-Hosenträgerschnalzen mal mit „Sei ganz Du selbst“ im bildbearbeiteten, zartrosa Duftkerzenambiente (nicht falsch verstehen, ich mag Duftkerzen).
Für mich war der entscheidende Schritt hin zu mir selbst und damit auch die Brücke zu mehr Selbstzutrauen zunächst einmal Selbstannahme. In dem so sein, wie ich in dem Moment (noch) bin.
Das Aufgeben des Kampfes gegen mich selbst und Annehmen dessen was ist, war zunächst Voraussetzung für wesentliche Schritte auf meinem Genesungsweg. Und im Weiteren ein Tor zu mehr Leichtigkeit, Authentizität, Gelassenheit.
Durchaus noch steigerungsfähig, aber bereits jetzt in einem Maß, das für mich so früher unerreichbar schien.
Leise und unauffällig füllt sich das seelische Schatzkästchen
Das ist lange nicht alles, was mein Leben heute reicher macht. Man könnte sagen, es ist ein ganzes „inneres Schatzkästchen“ entstanden.
Was mein Leben sonst noch reicher macht:
Wissen, was mir wirklich wichtig ist und das Gefühl von Sinnhaftigkeit, wenn ich mein Leben danach ausrichte ? mehr („Trotzdem“-)Mut ? mehr Unabhängigkeit von der Meinung anderer ? neue, bereichernde Begegnungen ? Vergnügen daran, Dinge einfach zu machen, aus reiner Freude am Tun statt Leistungsanspruch ? mehr Selbstfürsorge ? bessere Fähigkeit, Grenzen zu setzen ? mehr Ruhe und Gelassenheit ? ein bewusst gewähltes Leben mit zwei Herzenshunden (beste Entscheidung ever!) ? das Gefühl, bei mir angekommen zu sein…
… und nicht zuletzt die Erfahrung, Menschen unterstützen können, gerade durch das, was ich selbst erlebt habe!
Alles zusammen ist das, was für mich heute meine neu erworbene #Krisenkraft ausmacht.
War es deshalb „alles für etwas gut“, wie man oft so schön sagt? Ich weiß nicht, ob ich das so formulieren möchte. Aber in jedem Fall ist ganz, ganz viel Gutes daraus erwachsen, auf das ich heute nicht mehr verzichten möchte.
Und warum ich das Alles schreibe?
Meine persönliche Mut-Botschaft lautet:
Veränderung ist möglich, auch wenn es sich zeitweise nicht so anfühlt. Und wir alle haben mehr Krisenkräfte in uns, bzw. die Fähigkeit diese zu entwickeln, als wir uns selbst manchmal zutrauen! Auch Du!
Mehr über Michaela erfahren: www.erfahrungswerte.de
Weitere Beiträge und Aktionen des Aktionsmonats #krisenkraft ansehen: #krisenkraft – Mental Health Aktionsmonat 2020
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