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Mir mit Selbstmitgefühl zu begegnen ist egoistisch – oder doch nicht?

von Helma Harbecke-Schulz

Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst die Freundlichkeit und Fürsorge entgegenzubringen, die wir unserem besten Freund oder unserer besten Freundin schenken.

Kristin Neff

Dieser Blogartikel behandelt die Frage, ob wir mit uns selbst genauso freundlich und verständnisvoll umgehen, wie mit unseren Freunden oder anderen nahestehenden Menschen bzw. wie es uns gelingen kann.

Inhalt

Selbstverständlich gehst Du mit Dir selbst genauso gut um, wie mit einem guten Freund – oder?
Was brauchst Du, um dir Selbstmitgefühl zu geben?
Was bedeuten die einzelnen Elemente des Selbstmitgefühls?
Welche Übungen können helfen, einen mitfühlenden Umgang mit mir zu trainieren?
Macht Selbstmitgefühl egoistisch?
Ist der Nutzen des Selbstmitgefühls nachgewiesen?

Selbstverständlich gehst Du mit Dir selbst genauso gut um, wie mit einem guten Freund – oder?

Im Laufe unseres Lebens werden wir alle mit schwierigen Gefühlen, Situationen oder Stress konfrontiert. Leider haben wir häufig mehr Verständnis und Geduld für andere Menschen, ihre Fehler, Schwächen oder Schmerzen und unterstützen sie oft liebevoller, als wir es mit uns selbst tun.
Kennst Du das auch? Dann freut es Dich vielleicht zu hören, dass wir lernen können mit uns selbst so umzugehen, wie mit unserem besten Freund oder unserer besten Freundin. Wir können achtsam mit uns selbst und unseren Gefühlen sein.

Was brauchst Du, um dir Selbstmitgefühl zu geben?

In der unten stehenden Abbildung kannst Du sehen, dass die drei Komponenten Achtsamkeit, Selbstfreundlichkeit und gemeinsames Menschsein dafür wichtig sind.

Bild: Drei Komponenten des Selbstmitgefühls: Achtsamkeit, Gemeinsames Menschsein, Selbstfreundlichkeit (Kristin Neff & Christopher Germer, Selbstmitgefühl, Das Übungsbuch, Seite 24)

Was bedeuten die einzelnen Elemente des Selbstmitgefühls?

Gerade in herausfordernden Situationen ist es wichtig, auch mit sich selbst freundlich und verständnisvoll umzugehen, eben genauso, wie Du es mit einer guten Freundin oder einem guten Freund tun würdest. Daher erläutern wir noch einmal kurz die drei oben genannten Komponenten, die für einen selbst-mitfühlenden Umgang nötig sind:

Selbstfreundlichkeit bedeutet, dass wir aufhören, uns in Gedanken selbst zu kritisieren oder zu beschimpfen.
  1. Achtsamkeit
    Um in einer schwierigen Situation Linderung zu erfahren, ist es wichtig, das, was in dem Moment z.B. an Gefühlen wie Trauer, Scham oder Wut da ist, zuzulassen und nicht zu versuchen, diese zu verdrängen. Nimm Dir selbst die Zeit, deine Gefühle im Hier und Jetzt wahrzunehmen, und Dich dem damit verbundenen Schmerz oder Leid zuzuwenden.
  2. Selbstfreundlichkeit
    Damit ist gemeint, dass wir aufhören, uns in Gedanken selbst zu kritisieren oder zu beschimpfen, sondern freundliche, mitfühlende innere Dialoge führen. Wie würdest Du in einer schwierigen oder Scham besetzten Situation mit einem guten Freund umgehen? Würdest Du sie/ihn evtl. in den Arm nehmen, oder ihm/ihr tröstend eine Hand auf den Arm legen?

    Das kannst Du genauso gut mit Dir selbst tun!
    Stell Dir selbst die Frage: „Was brauche ich gerade? Was könnte mir jetzt gut tun?“ Eine Umarmung oder eine andere angenehme Berührung? Ein paar aufmunternde Worte? Du kannst Dich selbst umarmen, mitfühlend eine Hand auf Deinen Arm oder das Herz legen, oder Dir selbst einen liebevollen, stärkenden Satz zukommen lassen. Wenn Du magst, probiere es beim nächsten Mal, wenn Du Dich in einer schwierigen Situation befindest, aus.
  3. Gemeinsames Menschsein
    Niemand ist perfekt! Jeder Mensch macht Fehler, ist z.B. unpünktlich, vergisst Dinge oder lässt etwas fallen. In diesen Situationen fühlen wir uns häufig isoliert und haben das Gefühl, nur uns geht es so, negative Selbstgespräche finden statt. Mach Dir in diesen Situationen bewusst, dass Du nicht allein mit dieser Erfahrung bist. Solche Erfahrungen gehören zum Menschsein dazu, es geht uns allen so!

Neulich habe ich im Namen mehrerer Kolleginnen einen Infobrief an die Vermieter unserer Praxis geschrieben. Nach einer Erkrankung war ich noch nicht wieder zu 100 % fit und es haben sich Fehler eingeschlichen – was wir aber erst merkten, nachdem der Brief schon abgeschickt war. Als meine Kollegin mich darauf ansprach, war mir das unheimlich peinlich und ich fing an, sehr unfreundliche Selbstgespräche zu führen. Nachts konnte ich vor schlechtem Gewissen und Scham nicht schlafen. Dann fiel mir die Selbstmitgefühlspause ein, die auch in unseren RAMSES und RASMUS-Kursen ein wichtiger Baustein ist. (Den Link zu einer Audio-Anleitung findest Du unten). Ich machte diese Übung, die ich mittlerweile gut verinnerlicht hatte, Schritt für Schritt. Zuerst habe ich achtsam wahrgenommen, dass ich einen Fehler gemacht habe, es mir unheimlich unangenehm und peinlich ist, und dass ich gerade sehr unfreundlich mit mir umgehe. Ich habe mich selbst umarmt und mir klargemacht, dass wir als Menschen eben auch Fehler machen. Ich habe meinen inneren Dialog daraufhin bewusst freundlicher gestaltet. Im Anschluss konnte ich bis morgens gut durchschlafen.

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Welche Übungen können helfen, einen mitfühlenden Umgang mit mir zu trainieren?

In diesem Blogartikel schreibt Helma über die Frage, ob wir mit uns selbst genauso freundlich und verständnisvoll umgehen, wie mit unseren Freunden oder anderen nahestehenden Menschen bzw. wie es uns gelingen kann.
Das Schreiben eines mitfühlenden Briefes aus der Sicht eines guten Freundes an Dich selbst kann guttun.

Übungen aus dem Bereich der sogenannten „informellen Praxis“ kannst Du mit ein wenig Erfahrung spontan in Deinen Alltag integrieren. Dazu gehört z.B., dass wir uns selbst berühren, wenn sich das gerade gut anfühlt. Dazu kannst Du Dir eine oder beide Hände in Herzhöhe auf Deine Brust, auf Deinen Bauch oder eine Hand bewusst auf Deine Wange legen und wahrnehmen, wie es Dir damit geht. Auch das Schreiben eines mitfühlenden Briefes aus der Sicht eines guten Freundes an Dich selbst kann guttun.

Durch das bewusste Üben von Achtsamkeit in Deinem Alltag, kannst Du die Erfahrung machen, immer mehr im Hier und Jetzt verankert zu sein. Damit schaffst Du die Grundlage dafür, Dir in Deinem Leid und Stress mit Selbstfreundlichkeit zu begegnen. Du kannst Dir beispielsweise vornehmen, einmal am Tag eine achtsame Pause einzulegen, in der Du Dir Zeit nimmst, um in Dich hineinzuhorchen und wahrzunehmen, wie es Dir gerade geht.

Bist Du entspannt, oder eher angespannt? Welchen Auslöser für Dein momentanes Befinden gab es? Welche Gefühle sind gerade im Vordergrund? Ist Deine Position im Raum gut, oder möchtest Du gerne etwas verändern? Ist die Temperatur angenehm, oder würdest Du gerne etwas verändern?

Mache Dir innerlich Notizen von Deinen Wahrnehmungen und verändere ggf. etwas, damit es Dir noch besser geht. In kleinen Schritten kannst Du so Deine Selbstwahrnehmung stärken und immer besser und liebevoller für Dich sorgen.

Meditationen sind formelle Übungen, die etwas mehr Ruhe und Vorbereitung benötigen. Sie sollten nach Möglichkeit zu regelmäßigen Zeiten in einer störungsfreien Umgebung gemacht werden. Dazu gehört zum Beispiel „Das liebevolle Atmen“. Eine Anleitung zu der Meditation von Christopher Germer und Kristin Neff, gesprochen von Christine Brähler, findest Du unten verlinkt.

Mittlerweile ist die „Selbstmitgefühlspause“ meine Lieblingsübung. Kennen und lieben gelernt habe ich sie in unseren Resilienztrainings. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Kurse, wodurch ich die wohltuende Wirkung immer wieder nicht nur bei mir als Trainerin, sondern auch bei den Teilnehmer*innen sehe. In der Übung geht es darum zuzulassen, dass es etwas im Leben gibt, das gerade schmerzt oder stressig ist und das bewusst wahrzunehmen. Dann sage ich mir z.B. selbst „Ja, das tut mir gerade weh“ oder: „Oh Mann, ist dieser Tag gerade stressig und anstrengend“. Im nächsten Schritt bestätige ich mir selbst, dass ich damit nicht alleine bin, dass es auch anderen Menschen mal so geht. Wenn es sich gerade gut anfühlt, lege ich mir dabei gerne eine Hand aufs Herz. Im nächsten Schritt versuche ich einen Satz zu finden, mit dem ich einen freundlichen und mitfühlenden Dialog mit mir führe. Bei mir ist es häufig der Satz „Eins nach dem Anderen“

Wenn Du die Selbstmitgefühlspause ausprobieren möchtest, empfehle ich Dir, das Audio (den Link findest Du am Ende des Artikels in den weiterführenden Links) erst einmal nur zu hören, damit Du weißt, worum es geht. Dann ist es gut, erst einmal mit Alltagssituationen zu üben, z.B. wenn Du beim Einkaufen in einer langen Schlange stehst und eigentlich „nur schnell“ etwas besorgen wolltest, oder Dir der Bus vor der Nase wegfährt. So hast Du den Ablauf später in schwierigeren Situationen aus dem Gedächtnis parat.

Macht Selbstmitgefühl egoistisch?

Diese Frage stellen sich Menschen manchmal, wenn es um das Thema Selbstmitgefühl geht. Tatsächlich ist es so, dass Selbstmitgefühl und Achtsamkeit für uns selbst auch positive Auswirkungen auf unser Umfeld haben.

Kurz nachdem ich die oben beschriebene Situation mit dem Infobrief verarbeitet hatte, machte ein sehr guter Freund einen peinlichen Fehler. Ich merkte ganz schnell, dass ich wütend wurde. Dann fiel mir meine eigene Erfahrung aus den vorangegangenen Tagen ein, und ich konnte aus ganzem Herzen sagen: „Ist doch nicht so schlimm, das kann jedem mal passieren.“

Ist der Nutzen des Selbstmitgefühls nachgewiesen?

Ja! Kristin Neff war Pionierin in der Forschung wie sich Selbstmitgefühl auf die Menschen auswirkt. Mittlerweile gibt es sehr viele Studien, die belegen, dass das Wohlbefinden der Menschen, die einen selbst mitfühlenden Umgang mit sich pflegen, größer ist, als bei Menschen, die es nicht tun.

So steigen Glück, Zufriedenheit, Selbstvertrauen und körperliche Gesundheit an. Depressionen, Angst, Stress und Scham hingegen nehmen ab. (Kristin Neff & Christopher Germer, Selbstmitgefühl, Das Übungsbuch, Seite 45).

Fazit

Es lohnt sich, einen immer liebevolleren Umgang mit sich selbst einzuüben und in den eigenen Alltag zu integrieren. Du möchtest mehr darüber erfahren? Dann schau gerne auch in die unten stehenden Links.

Weiterführende Links

  1. Audioanleitung „Selbstmitgefühlspause“ (arbor Verlag)
  2. Meditation „Liebevolles Atmen“ (Youtube)
  3. Onlinetest „Wie ich in schweren Zeiten mit mir selbst umgehe“ (Stangl, 2023)
  4. Forschungsergebnisse zu Selbstmitgefühl (msc-selbstmitgefuehl.org)

Bildquellen:
Titelbild / Blumenherz: congerdesign / Pixabay
Selbstmitfühlende Frau: Canva
Frau mit Block: StockSnap / Pexels

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