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Jahresrückschau der Erfahrungsexpert*innen

vom ERNA Resilienz-Netzwerk, zusammengetragen von Susan Masshafi

Das Jahr 2024 war für viele von uns eine Achterbahnfahrt aus Herausforderungen, Wachstum und überraschenden Wendungen. In diesem Jahresrückblick blicken wir auf die Erfahrungen von sieben Erfahrungsexpert*innen, die in ihrem Beruf und Leben mit Höhen und Tiefen konfrontiert wurden. Sie teilen ihre ganz persönlichen Erlebnisse und erzählen, wie sie es geschafft haben, trotz Rückschlägen resilient zu bleiben. Welche Techniken und Strategien haben ihnen geholfen, schwierige Momente zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen?

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die individuellen Wege dieser Erfahrungsexpert*innen, die nicht nur von ihren Erfolgen berichten, sondern auch offen über ihre Herausforderungen und die Kraft der Resilienz sprechen.

Annegret Corsing

Vorfahrt für die Selbstvorsorge

Portrait Annegret Corsing Erfahrungsexpertin

Eine große Herausforderung in diesem Jahr war und ist für mich die Verkehrsanbindung zu meiner Arbeit in Berlin und meinem Wohnort in Brandenburg. Die funktioniert nämlich nicht richtig gut. Es begann schon im Winter mit den Bahn-Streiks, zog sich durch den Sommer mit Dauerbaustellen und Schienenersatzverkehr während der Ferien und endet auch nicht im Herbst, in dem eigentlich alles funktionieren könnte, wäre da nicht der marode allgemeine Zustand der Anlagen und Züge, sodass mittlerweile jede „Reise“ zu einem Erlebnis der ganzen besonderen Art wird. Eine Fahrstrecke von regulär rund 1 Stunde 15 wird dann schon mal 2-3 Stunden lang, weil Züge ausfallen, zu spät sind, Anschlüsse verpasst werden und zu allem Überfluss meine letzte Verbindung nach Hause nur 1-mal stündlich fährt. Es braucht also viele Kettenglieder, die hier perfekt ineinandergreifen, damit eine Verbindung funktioniert – und das tut es aktuell nur in ca. 1-2 von 10 Fahrten. Das ist für mich inzwischen zu einer ernst zu nehmenden psychischen Belastung geworden, da ich auch wichtige Termine verpasse oder zu spät komme und mich nie darauf verlassen kann, zu einer bestimmten Zeit irgendwo pünktlich an oder nach Hause zu kommen.

Achtsamkeit und radikale Akzeptanz – ja, das sind wohl die Resilienz-Tools, die mich in diesen Situationen am meisten unterstützen. Die aufsteigende Wut auf die Bahn über ein weiteres „Wir bitten um ihr Verständnis …“ auf dem Bahnsteig zu spüren und achtsam die Hilflosigkeit zu entdecken, die sich dahinter versteckt. Es ist nicht leicht zu akzeptieren: Ich sitze hier – mal wieder – fest und komme nicht weiter.

Und doch: „So ist es.“ Atmen hilft dann. Hin und wieder hilft mir auch eine Portion Humor und damit der Resilienzfaktor Optimismus. Dann lese mich mit einem Lächeln in der Zeitung, dass in der Schweiz inzwischen ICEs aus Deutschland an der Grenze zurückgeschickt werden, wenn sie verspätet sind. Man will sich unsere Unpünktlichkeit nicht ins eigene Bahnsystem holen1. Das ist doch so traurig, dass es fast schon wieder lustig wird, oder?

Neulich habe ich auch mal eine entspannte Reise erlebt, WEIL alle Folgeanschlüsse auch verspätet waren! Es ist wichtig, auch das Gute im Schlechten zu sehen, nicht wahr? Gleichzeitig habe ich mit Selbstfürsorge und Eigenverantwortung inzwischen die Entscheidung getroffen, in Zukunft weniger zu pendeln, um die Belastung für mich zu reduzieren und meine Lebensqualität wieder zu erhöhen. Dafür verlege ich den Großteil meiner Arbeitszeit ab dem kommenden Jahr aufs Land, wo ich nur noch kurze Wege habe und nicht mehr auf mehrere passende Folgeverbindungen angewiesen bin.

1) https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/ice-richtung-schweiz-verspaetung-100.html

I

2024 – Eine Fahrt auf dem Jahrmarkt

Es riecht nach kandierten Äpfeln und gebrannten Mandeln – ein süßer Duft, der mir in die Nase steigt und mich an all die Leckereien erinnert, die das Leben zu bieten hat. Der klebrige Zucker hält zusammen, was zusammengehört. Wie wichtig Zusammenhalt ist, hat mich dieses Jahr einmal mehr gelehrt.

In der Ferne höre ich Freudenschreie, während mein innerer Kritiker mir versucht einzureden: „Das schaffst du nicht. Das ist eine Nummer zu groß für dich.“ Ich blicke auf die riesige Achterbahn vor mir, sehe die schaukelnden Gondeln und blickenden Lichter, die vom Nebel umhüllt werden. Mit flauem Magen betrete ich den Wagen – die Beine zittern, der Atem wird schneller, Schweiß bricht aus. Und dennoch tue ich es, schaue der Angst direkt ins Gesicht, während sich meine Menschen um mich herum versammeln. Zu eng, kein Platz für die Panik – sie muss draußen bleiben.

2024 war ein Auf und Ab – eine Beförderung, der Verlust einer jahrelangen Freundschaft, eine neue Liebe, ein todkrankes Haustier haben mich ziemlich herausgefordert. Das Leben ist eine Achterbahnfahrt, doch dieses Jahr war etwas anders: Ich lernte, meine Tiefpunkte zu akzeptieren. Ich lernte, optimistisch zu bleiben und meinem inneren, miesepetrigen Kritiker die Stirn zu bieten. Ich lernte, mich anderen Menschen zu öffnen. Denn schauen wir uns einmal um, stellen wir fest: Wir fahren nicht alleine in diesem Rollercoaster. Wir haben Menschen um uns herum, ein Netzwerk, von dem wir lernen können und in dem wir Halt finden. Diese Erkenntnis und die tiefe Dankbarkeit in meinem Herzen nehme ich mit in ein neues, aufregendes 2025.

Sonja Kirchvogel

Dieses Jahr war für mich geprägt von vielen Höhen, unvergesslichen Momenten und intensiven Herausforderungen. Als neu Selbstständige habe ich erfahren, wie anspruchsvoll es sein kann, viele verschiedene Verantwortlichkeiten unter einen Hut zu bringen, sehr hohe Erwartungen an die eigene Leistung zu haben und gleichzeitig ausreichend Raum für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu schaffen: Familie, Freunde und Erholung.

Besonders hilfreich war für mich deshalb in diesem turbulenten Jahr der Resilienz-Baustein der Netzwerkorientierung. Gespräche mit Freunden und beruflichen Wegbegleitern haben mir eindrücklich gezeigt, dass wir alle nur Menschen sind – mit unseren Höhen und Tiefen, Stärken und Schwächen, guten und weniger guten Tagen. Gerade in Momenten der Unsicherheit, Überforderung oder Selbstzweifel ist es unbezahlbar, sich an Vertraute zu wenden, die eigenen Sorgen zu artikulieren und Unterstützung zu finden – sei es durch ein offenes Ohr, einen Rat oder einfach das Gefühl, verstanden zu werden.

Auch meine Praxis der Achtsamkeit hat mir in diesem Jahr wieder kraftvoll zur Seite gestanden. Durch Weiterbildungen zu Achtsamkeitstechniken konnte ich meine Fähigkeiten weiter vertiefen und wurde darin bestärkt, wie bedeutend ein achtsamer Umgang mit mir selbst und anderen ist. Besonders wertvoll sind für mich kleine Inseln der Achtsamkeit im Alltag: bewusste Atemübungen, Yoga, Spaziergänge im Wald oder Momente der Meditation.

Rückblickend hat mich dieses Jahr insgesamt gelehrt, meine Grenzen besser zu respektieren und die Balance zwischen Leistung und Wohlbefinden bewusster zu gestalten, wofür ich sehr dankbar bin.

Bernd Andreas Czarnitzki

Als ich 2017 das erste Mal von Resilienz und den sieben Säulen dazu erfahren habe, suchte ich lange nach einem Kurs, der mir zeigen würde, was ich damit anfangen könnte. Ich musste noch drei weitere Jahre warten, bis ich bei den Erfahrungsexpert*innen auf eine Schulung zum Thema Resilienz stieß. Ich besuchte einen online angebotenen Kurs „RASMUS“, den damals Annegret moderierte. Einen Kurzkurs, genannt „Roswita“, besuchte ich kurze Zeit später, um das Erlernte zu vertiefen. Im selben Jahr 2020 absolvierte ich den Trainerkurs und bin seitdem zertifizierter Resilienztrainer.

In allen Kursen, die ich bisher geben durfte, begeistert es mich, mitzuerleben, wie sich einzelne Kursteilnehmer*innen entwickeln und so resilienter werden. Höhepunkt meiner Zeit als Teil des Netzwerkes „die erfahrungsexpert*innen“ war und sind immer noch Kurse für die Mitglieder der Deutschen Depressionsliga. Diese Idee von einem ehemaligen Mitglied und mir konnte auf meine Initiative hin umgesetzt werden. Den ersten Kontakt hatte ich damals vermittelt und ich bin sehr froh über das, was daraus entstanden ist.

Im Oktober 2024 stand eine Umbenennung unseres Netzwerkes an und ich setzte meine Idee, ein Akronym zu nutzen, um. Wir nutzen viele Akronyme wie RAMSES oder RASMUS. Vor einigen Jahren gab es noch RESI und ROSWITA. Was lag also näher, als ein Akronym für den Namen des Netzwerkes zu nutzen? Letztendlich hat sich mein Vorschlag ERNA Resilienz-Netzwerk und Austausch durchgesetzt. Annegret hat dem Logo, das ich vorgeschlagen hatte, noch einen moderneren Touch verpasst.

Was durfte ich 2024 lernen? Zukunftsorientierung ist so eine Sache. Wenn wir zu sehr darin verhaftet sind, denken wir nur noch an die Zukunft und leben nicht mehr im Moment. Andererseits ist Zukunftsorientierung dann umsonst, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen dem Tod ins Auge schaue. Dann denke ich, dass in der Zukunft nicht mehr viel kommen kann und höre auf, mich mit der Zukunft zu befassen. So ist es mir passiert. Meine körperliche Gesundheit steht im wahrsten Sinne der Worte „auf wackligen Beinen“. Ich befand mich 2023/2024 mehr in irgendwelchen Kliniken als zu Hause. Aus diesem Grund habe ich dieses Jahr persönlich keine Resilienztrainings gegeben. Und meine Zukunftsorientierung geht gerade davon aus, dass das so bleiben wird.

Mariella Hinz

Das Jahr 2024 hat mich gleich vor mehreren Herausforderungen gestellt, die ich meistern durfte. Ich möchte gerne von einer für mich positiven Erfahrung berichten. Ich durfte in diesem Jahr einen Teil der Projektleitung unserer RAMSES Kurse übernehmen und habe somit neue Aufgaben kennenlernen dürfen. Dazu gehörte es vor allem, noch mehr Struktur in meine bisherige Arbeit zu bringen, um einen Überblick über die dazugehörigen Aufgaben zu behalten. Hier hat mir vor allem meine Zielorientierung geholfen: Ich habe immer wieder geschaut, welche Ziele ich erreichen möchte und welche Aufgaben ich hierfür priorisieren sollte. So ist es mir gelungen, auch bei langen „To-Do“ Listen den Überblick nicht zu verlieren. Des Weiteren war meine Lösungsorientierung besonders gefragt. Es mussten immer wieder Kompromisse geschlossen werden oder Probleme, wie zum Beispiel kurzfristige Krankheitsfälle, gelöst werden.

Gleichzeitig war es für mich ebenfalls wichtig, für genügend Pausen zu sorgen. „Nur wenn ich mich gut um mich selbst kümmere, kann ich eine gute Projekt- und Kursleitung sein.“

Darum bin ich immer wieder mit mir in Kontakt gegangen, um zu schauen: Wie geht es mir gerade? Was brauche ich? Hier möchte ich auch gerne die Chance nutzen, mich bei meinem Netzwerk zu bedanken. Mir wurden privat einige Dinge abgenommen, die mir geholfen haben, meine Arbeit zu bewältigen und mir Pausen zu nehmen. Ich bin dankbar, über so ein soziales Netzwerk zu verfügen.

Nun schaue ich optimistisch auf das neue Jahr mit all seinen Möglichkeiten 🙂

Melli Hinz

Was habe ich dieses Jahr gelernt?

Das Jahr 2024 neigt sich dem Ende zu. Ein guter Zeitpunkt für mich, um noch einmal liebevoll auf die vergangenen Wochen zurückzuschauen und mich zu reflektieren.

Viel ist passiert in diesen 366 Tagen, und ich durfte auch in diesem Jahr wieder ein paar neue Erfahrungen machen. Einige waren sehr schön, andere möchte ich eher nicht wiederholen. Eines haben aber beide gemeinsam – ich durfte an ihnen wachsen und etwas Neues über mich entdecken.

Im Jahr 2024 habe ich vor allem gelernt, dass ich eine Stimme habe und diese einsetzen möchte. Deshalb engagiere ich mich seit einiger Zeit in verschiedenen Initiativen und Vereinen, die alle zum Ziel haben, etwas zum Besseren zu verändern. Neu hinzukommen wird im Jahr 2025, dass ich mich noch mehr für Menschen mit psychischen Erkrankungen einsetzen möchte. Zusätzlich zu Präventionsangeboten wie beispielsweise Resilienz-Kursen möchte ich auch auf politischer Ebene in meinem Bundesland aktiv werden. Darauf freue ich mich sehr.

Ich habe dabei viel gelernt über Strukturen, Anträge stellen und auch welche Hürden und Stolpersteine es so gibt in unserer Welt. Und wie wichtig mir das Netzwerken geworden ist. Gemeinsam geht es oft leichter, wenn Großes entstehen soll.

Aktiv zu sein auf diese Weise gibt mir Hoffnung und ich erlebe meine Selbstwirksamkeit. Zwei schöne Begleiter an meiner Seite für 2025. Ich wünsche Euch allen ebenfalls gute Weggefährten.

Susan Masshafi

2024 hat meine Resilienz wahrlich getestet. Und das schon im Januar. Ich saß morgens an meinem Arbeitsplatz, als ich einen Anruf von meiner Mutter bekam. Sie sagte mir, dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus ist, da sie Verdacht auf einen Herzinfarkt hatte. Mir wurde auf einmal ganz übel. Da ich beruflich eingebunden war, konnte ich Sie erst am Nachmittag im Krankenhaus besuchen. Sie lag da ganz kreidebleich und unter dem Einfluss von sehr starken Schmerzmitteln in der Intensivstation. Sie wurde bei Ankunft ins Krankenhaus sofort operiert. Das wusste ich nicht. Erst als ich am Empfang des Krankenhauses nach meiner Mutter gefragt hatte, wurde es mir gesagt. An diesem Tag wurde mir auf einmal klar, wie schnell doch alles sich verändern kann. Wie schnell man einen geliebten Menschen verlieren kann. Dass die Zeit, die ich mit meinen Eltern noch habe, sich mehr und mehr begrenzt.
Es überkam mich eine große Angst. Angst des Verlusts. Das, was ich zuvor in dieser Form noch nicht so gespürt hatte.
Was hat mir geholfen, nun diese Angst zu mindern? Beten. Ich habe gebetet. Beten und das Gespräch mit meinen Freund*innen haben mir viel Trost, Verbundenheit und Zuversicht geschenkt. Meine Emotionen konnte ich durch Atemtechniken, Klopfakupressur (EFT) und Affirmation regulieren. Ich freue mich auf die Zeit, die ich noch mit meiner Mutter verbringen kann und bin sehr dankbar, dass es ihr jetzt gesundheitlich besser geht.

Resilienz ist eine Schlüsselressource, die uns hilft, selbst in den herausforderndsten Lebensphasen nicht nur zu überleben, sondern gestärkt daraus hervorzugehen. Sie ermöglicht es uns, mit Widrigkeiten kreativ und flexibel umzugehen, aus Rückschlägen zu lernen und uns immer wieder neu auf unsere Ziele und Werte auszurichten. Die Geschichten der sieben Erfahrungsexpert*innen zeigen eindrucksvoll, dass Resilienz nicht angeboren ist, sondern erlernt und entwickelt werden kann. Sie ist eine Fähigkeit, die uns inmitten von Krisen zu einem tieferen Verständnis von uns selbst und unserer eigenen Stärke führen kann – eine unersetzliche Ressource, die es uns ermöglicht, auch die dunkelsten Zeiten zu überstehen und als gestärkte, weisere Menschen weiterzuwachsen.

Wir, die Erfahrungsexpert*innen, bedanken uns bei dir für dein Interesse und Zeit, und freuen uns darauf, auch in diesem Jahr weiterhin gemeinsam spannende und inspirierende Themen mit dir zu teilen!


Bildquelle: Titelfoto von Sindre Fs/Pexels

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