Depressionen sind eine heimtückische und teilweise schwere psychische Erkrankung. Sie sind jedoch gut behandelbar, wenn sie frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden. Es werden drei Schweregrade unterschieden: leichte, mittelgradige und schwere Depressionen. Je schwerer die Erkrankung ist, desto eher werden auch Medikamente, sogenannte Psychopharmaka, verordnet.
Was bei mir zu meiner Depression beigetragen hat und wie sich das auf mein Leben auswirkte, davon werde ich hier berichten.
Was hat meine Depression ausgelöst?
Irgendwie war ich mein Leben lang ein sehr melancholischer Mensch. So habe ich es zumindest in den Jahren meiner Jugend beschrieben. In mir hatte ich eine tiefe Traurigkeit und stets das Bedürfnis nach Rückzug und Alleinsein. Dennoch war ich natürlich oft unter Menschen: Schule, Busfahrten zur Schule und Ausbildung sollten ja irgendwie erledigt werden. Ich hatte jedoch nur sehr wenige Freunde. Stetige Umzüge haben aus mir einen Nomaden gemacht, der nirgendwo einen Anker hätte fallen lassen können.
Ein Auslöser für meine tiefe Traurigkeit war der Tod meiner wichtigsten Bezugsperson: In den ersten 7 Jahren meines Lebens wurde ich hauptsächlich von meiner Großmutter erzogen. Eines Tages kam sie ins Krankenhaus, wo sie verstarb. Selbst auf ihrer Beerdigung durfte ich nicht dabei sein um mich zu verabschieden. Die folgenden ständigen Umzüge alle 2-3 Jahre und die damit verbundenen Abschiede machten mir das Leben zusätzlich schwer. Mit dem Umzug 1973 nach Hannover wurde ich nicht nur meiner Heimat und der gewohnten Umgebung entrissen, ich verlor auch den Kontakt zu meiner Zieh-Familie.
Aus heutiger Sicht war das für mich der Zeitpunkt, an dem meine Depressionen ihren Anfang nahmen. Die unverarbeitete Trauer und die Verluste haben sie letztendlich hervorgebracht. Die Umzüge alle 2-3 Jahre zwischen 1968 und 1976 sorgten für eine Verstetigung der Depression.
Ein weiterer Faktor für meine tiefe Traurigkeit war die ablehnende und stets kritisierende Haltung meiner Mutter mir gegenüber. Ich erinnerte sie zu sehr an ihren geschiedenen Mann, der sie mit dem kleinen Kind allein gelassen hatte.
Alles insgesamt Faktoren, die meine Stimmung nicht gerade erhellten. Bis 2007 habe ich mich irgendwie „durchgewurschtelt“. Ich arbeitete hart und viel, machte mehrere Ausbildungen und war in den jeweiligen Berufen ein richtig guter Mitarbeiter. Als 2002 meine Frau auf Grund einer psychischen Erkrankung ins Krankenhaus musste, versuchte ich den Schmerz durch noch mehr Arbeit wettzumachen. In der Zeit entstand eine der erfolgreichsten FAN-Seiten einer US-amerikanischen Band im Internet, die ich gestaltet hatte.
Zusammenbruch
Zu Beginn des Jahres 2007 bemerkte ich, dass ich mehrere Male zu keiner sinnvollen Tätigkeit im Stande war. In solchen Phasen erlebte ich eine Trägheit, die ich noch nie erlebt hatte. Apathie, Gereiztheit, Lustlosigkeit, Grübeleien, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Versagensängste machten sich in mir breit. Ich saß stellenweise am Schreibtisch und konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich spielte ein Computerspiel und hoffte inständig, dass das Telefon still blieb. Als EDV-Administrator war ich ständig gefragt. Bei Problemen und Schwierigkeiten war ich gefordert, den Benutzer*innen schnellstmöglich zu helfen.
Nach außen hin trug ich das Gesicht eines Mannes, der freundlich und zugewandt war. Meine empathische Art war damals schon sehr aktiv und so konnte ich vieles bei mir selbst überdecken. Doch es gab auch andere Phasen: ich war gereizt, ausgelaugt, sehr schnell auf 180, wenn es nicht lief, wie ich es mir dachte.
Für mich am Auffälligsten war meine Schroffheit und Abweisung gegenüber Freunden und Bekannten. Es kam vor, dass diese mit ausgetreckter Hand auf mich zukamen weil sie mich begrüßen wollten. Doch ich dachte nur “Was will der/die denn schon wieder von mir?” und wies die Person schroff ab. Als mir das bewusst wurde, wusste ich, dass ich etwas unternehmen sollte.
Irgendwann kratzte ich all meine verbliebene Motivation zusammen und suchte im Internet nach den Sympthomen. Dabei fand ich auch einen Test mit dem Titel “Haben Sie einen Burnout?”.
Wie fühlt sich eine Depression an?
Meine Depression fühlte sich nach Schwere an. Die große Traurigkeit wie sie oft im Zusammenhang mit Depression erwähnt ist, ist nicht nur Traurigkeit, sondern viel mehr. Die Depression nahm mir den Spaß und den Elan für alltägliche Dinge oder auch dafür, Dinge für mich zu tun, die mir guttun. Zu einem simplen Spaziergang konnte ich mich nicht aufraffen. Die Zukunft wirkte auf mich eher bedrohlich und sehen konnte ich davon nur den kleinen Lichtpunkt am Ende des viel zu langen Tunnels. Dies sind alles Bilder, die nur angedeutet beschreiben, wie ich meine Depression erlebte.
So richtig klar erklärt hat mir die Depression das Buch von Matthew Johnstone „Mein schwarzer Hund“. 2016 erschien dazu ein kleiner Film auf Youtube, der mit deutschen Kommentaren von den Freunden fürs Leben versehen wurde.
Die oben geschilderten Symptome sind auch die Faktoren, die auf das Bestehen einer Depression hinweisen können.
Wie komme ich raus aus dem Depressionskarussell?
Wie weiter oben bereits geschrieben kramte ich irgendwann all Motivation zusammen und recherchierte im Internet nach den Symptomen. Ich fand auch einen Test Namens “Haben Sie ein Burnout?”. (Die Internetseite hieß passenderweise das-burnout-syndrom.de und existiert heute nicht mehr.) Was dort stand war auf der einen Seite bedrückend, auf der anderen erleichternd. Ich hatte einen Namen für meinen Zustand: Burnout. Zu einer Burnout-Entwicklung gehört nach dem Modell des amerikanischen Psychologen Herbert Freudenberger auch das Durchlaufen einer depressiven Phase, in der Betroffene versuchen, noch mehr zu funktionieren.
Die Empfehlung aus dem oben erwähnten Test lautete: Suchen Sie Ihren Arzt auf und machen Sie eine Reha. Gelesen, getan. Ich habe den Antrag mit dem Hausarzt ausgefüllt und an die Rentenversicherung geschickt. Er kam postwendend zurück mit der Aufforderung zu einem Psychologen zu gehen. Der bestätigte dann meine Vermutung und wir schickten den Antrag erneut ab. Wenige Wochen später durfte ich in eine Klinik. Schon beim Aufnahmegespräch wurde die Diagnose Depressionen offiziell bestätigt. Sechs Wochen Aufenthalt in der Einrichtung haben aus mir keinen anderen Menschen gemacht, doch Vieles war aufgebrochen und wartete auf Bearbeitung.
Von 2008 bis 2012 machte ich meine erste Psychotherapie, in der ich auch zum Teil lernte, mich selbst anzunehmen. Nach einer erneuten Auszeit auf Grund eines Herzinfarktes in 2008 entschied mein Arbeitgeber, dass ich nicht länger haltbar war. Es folgte eine lange Zeit des Mobbings durch meine Vorgesetzten. Dadurch brach auch meine Depression wieder hervor. Und dieses Mal stärker als zuvor. Antriebslosigkeit und Lustlosigkeit bestimmten meinen Alltag. Ich fühlte mich traurig und führte dies auf meine Schwierigkeiten mit meinem Arbeitgeber zurück. 2010 erfolgte die Kündigung und ein Rechtsstreit darum. In dieser Zeit starb meine Mutter und ich hatte zusätzlich auch noch die Trauer zu verarbeiten.
Tipp: Unsere Peer-Beratung kann dich begleiten und unterstützen
Jetzt informieren und Termin findenWie gelang meine Neuorientierung?
Nach einem erneuten Reha- und anschließendem Tagesklinik-Aufenthalt orientierte ich mich beruflich um und absolvierte 2015 bis 2016 die Ausbildung zum EX-IN Genesungsbegleiter. Meine Depressionen waren nun die Voraussetzung für meine neue Tätigkeit und kein Hinderungsgrund. Dennoch war ich immer mal wieder auf der Hut , dass ich nicht wieder zu tief hineingeriet. Als Ehrenamtler und sich gleichzeitig beruflich ständig mit der Erkrankung zu beschäftigen, kann eine große Herausforderung sein. Es hat lange gedauert, bis ich das begreifen konnte. In einer ambulante Psychotherapie brachte es mein Psychologe 2021 auf den Punkt als er sagte: “Beschäftigen Sie sich nicht zu viel mit ihrer Depression. Passen Sie auf, dass Sie nicht Berufs-Depressiver werden.” Ich brauchte noch ein weiteres Jahr, bis ich es schaffte, mich von Ehrenämtern zu lösen, in denen ich stets fast ausschließlich als der Mensch mit Depressionen gesehen wurde. Diese Loslösung brachte mir letztendlich auch die Loslösung von der Depression.
Ein erneuter tagesklinischer Aufenthalt in 2019 brachte mir eine der wichtigsten Erkenntnisse: Alles was ich brauche um aus meiner Depression rauszukommen und mein Leben mit der Depression allein meistern zu können, hatte ich in den Jahren zuvor gelernt. Es wurde Zeit das auch umzusetzen.
Was hatte ich gelernt?
Es gibt Skills, die mir helfen meine aufkommende Depression aufzuhalten. Allen voran ist Achtsamkeit ein großer Faktor. Ich spüre ganz bewußt in mich hinein, ob sich etwas gut anfühlt oder nicht. Wenn ich heute merke, etwas wird mir zu viel, mache ich eine Pause und im besten Fall einen kleinen Spaziergang. Bei diesem Spaziergang trainiere ich meine Achtsamkeit und achte auf feine Veränderungen in der Natur.
Ruhephasen werden ganz bewußt eingeplant und auch eingehalten. Der Herz-Sport ist für mich ein so wichtiger Termin in der Woche, dass ich nur äußerst selten etwas dazwischen kommen lasse. Das haben auch die Erfahrungsexpert*innen bereits zu spüren bekommen. Musik ist ein weiterer wichtiger Faktor.
Zusammen mit einer Kollegin moderiere ich einen Online-Austausch, in dem wir gegenseitig Musiktipps austauschen. Dazu werden Youtube-Videos geteilt. Damit bin ich wieder zu einem wichtigen Teil meines Lebens zurück gekehrt. Musikhören habe ich als Kind und Jugendlicher schon geliebt. Und schließlich widme ich mich heute mehr der Prävention mit den Resilienz-Trainings der Erfahrungsexpertinnen. Ich habe mich neuen Themen zugewandt und lebe heute viel bewußter.
Im Leben angekommen
Heute bin ich in Erwerbsminderungsrente und beschäftige mich in meiner freien Zeit mit dem Thema Resilienz und gebe Vorträge und Schulungen zum Thema Integration von EX-IN Genesungsbegleiter*innen. Zum Thema Depression habe ich nur noch eine Verknüpfung: als Mitglied der Deutschen Depressionsliga betreibe ich Aufklärungs- und Präventionsarbeit.
Auch das Genießen ist wieder ein großer Teil meines Lebens. Ich genieße es sehr, täglich meinen Spaziergang zu machen. Erst im Jahr 2020 habe ich zum Beispiel das Barfußlaufen auf einer Wiese für mich entdeckt. Und ich habe mir Barfußschuhe gekauft. Heute kann ich wieder die Veränderungen in der Natur im Jahresverlauf entdecken und freue mich über jedes neue Blümchen im Frühling.
Tipps um eine Depression begreifbar zu machen für Menschen, die sie nicht selbst erlebt haben:
Buchtipp: Nora Klein – Mal gut mehr schlecht – Bilder zum Thema Depressionen
Wander-Ausstellung „Mal gut mehr schlecht“ von Nora Klein
Website von Nora Klein’s Projekt: malgutmehrschlecht.de
Shitshow – Moodsuits: Toolsammlung mit der sich das Gefühl einer Depression nachempfinden lässt. https://shitshow.de/formate
Film von Matthew Johnstone „Mein schwarzer Hund“ (Youtube)
Teile gern in den Kommentaren weitere Materialien, die dich für dich hilfreich waren, das Thema Depression zu begreifen.
Tipp: Stärke deine Resilienz in einem Kurs
Bernd Andreas Czarnitzki ist Genesungsbegleiter, Resilienztrainer und Dozent.